Nächtliche Begebenheit


Im Garten unterm Fliederbaum
vernahm ich des Käuzchens einsam Klage,
vermischte  sich Zeit, vermischte sich Raum,
was sonst so klar am Tage.

Dort, wo das Heidekraute steht,
davor die Ilex wächst,
des Nachts ein Wunder vor sich geht,
wo Vogelkehlen tags sich kühl benetzt.

Denn vor der Tränke steht ein Knabe,
er stehet dort, lauscht still der Zeit,
ist tönern wie die Vogellabe-
wie Erika so rot sein Kleid.

Er sieht die Blüte weiß wie Schnee,
die in die Tränke glitt ,
gleich einem Schiff auf hoher See,
durch kühle Wellen ritt.

Ganz nah, so nah- die Rosenknospe rot wie Blut
entfaltet ihre Pracht,
die, die so rein der Liebe Glut,
manch Feuer hat entfacht.

So steht der Knabe still, verwirrt,
bezaubert von dem Leben,
Tagpfauenauge ihn umschwirrt,
ein Spinn will ihn umweben.

Beschienen von des Mondes Licht,
fühlt ich den nächtgen Wind,
hell wurd des Knaben Angesicht,
entwichen war das Kind.

So sehr ich auch den Platz besah,
vereinsamt war der Ort,
nur im Heidekraut ein Schleichweg war,
vom Garten führt er fort.

Wie gern wär ich in jener Nacht
den Weg mit ihm gegangen,
mit ihm gelebt, geweint, gelacht,
doch leider  ward ich gefangen.

Gefangen in dem Zweifel mein,
ich wollt es schier nicht glauben.
Warum konnt es nicht wahr mir sein?
Ich tat den Glauben selbst mir rauben.

Dann hüllte mich ein der tiefe Schlaf,
ich irrte selbst im Traume,
als Sonnes erster Strahl mich traf,
besann ich mich- geraume.

So sehr ich auch den Platz besah,
dort stand das tönern Kind,
im Heidekraut ein Schleichweg war,
wie töricht Menschen sind!



Astrid Eifel-Gerber
                                                                                 




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