Und bis wir uns wiedersehen...
- zur Erinnerung an einen großen
Tag -
Meine bessere Hälfte gibt mir einen liebevollen Knuff und
ich bin wieder bei mir. Einige Augenblicke benötige ich um mich
wieder zu ordnen und zurückzukehren aus meiner Gedankenwelt, in
die ich während der beiden letzten Minuten abgetaucht war. Dann
stimme auch ich in das Vater-unser ein, das die Kirchengemeinde
kollektiv und feierlicher als sonst betet. Doch wieder erwische ich
mich dabei, dass mein Blick in die erste Reihe schweift und ich blicke
auf dieses hübsche Mädchen, das mit Feuereifer die gelernten
Gebete aufsagt.
Der liebe Gott wird mir verzeihen, dass ich in diesem Augenblick
meine Gedanken an meine Tochter richte und ihn etwas
stiefmütterlich behandele. Schließlich kennt er mich und er
weiß, was dieser Tag auch, oder gerade, für mich bedeutet.
Ich denke an die vergangenen 10 Jahre die dieses wunderbare und
liebenswerte Kind, dort, in der ersten Reihe der Kirche sitzend, mich
und meine Frau umgibt. Ich denke an die ersten Tage ihres Lebens, an
die - im wahrsten Sinne des Wortes- schwere Geburt. Für Kind und
Mutter. Etwas verstohlen blinzele ich jetzt zu meiner Frau. Diese
fängt meinen Dackelblick ein und lächelt mich an, bevor sie
dem Gottesdienst weiter folgt. Ahnt sie meine Gedanken? Auch sie
weiß, was dieser Tag für mich, für uns, bedeutet.
Ich denke an die unbekümmerten ersten Tage und Monate meines
Kindes zurück, an das erste Jahr, der Zeit des Erforschens. Denke
an die Zeit in der unser Sonnenschein jeden Tag zu wachsen schien,
jeder Tag ein Erlebnis der besonderen Art war. Um alles zu notieren
wäre ein Tagebuch schneller verschlissen gewesen als ein paar
abgewetzte Kinderschuhe. Das allerste Paar ihrer Treter bewahre ich
sorgsam in meinem Schreibtisch auf. Irgendwann, wenn meine Tochter den
Sinn dafür hat, werde ich ihr diese Schuhe zeigen, und sie wird
mich fragen welche Erinnerung ich an ihre ersten beschuhte Schritte des
Lebens habe. Ruhigen Gewissens werde ich ihr dann die Wahrheit
erzählen können. Es sind nur gute Erinnerungen. Und weiter
grabe ich in der Vergangenheit: Ich denke an die stillen Vormittage in
denen meine Tochter ab dem 3. Lebensjahr den Kindergarten besuchte.
Merkwürdig, wie still ein Haus werden kann! Erleichtert stellte
ich
fest, dass sie freudenstrahlend diese Gemeinschaft unter Gleichaltrigen
genoss, dass sie es gar nicht abwarten konnte am nächsten Tag
wieder in die heimelige Burg der kleinen Mäuse zu watscheln. Eine
schöne Zeit, eine sehr schöne Zeit. Für die Kleine, aber
auch für uns Eltern.
Chorgesang braust auf und ruft mich wieder in die Realität
zurück. Mich selbst tadelnd nehme ich mir vor dem Gottesdienst nun
etwas angemessener zu folgen. Ich habe mich doch so auf die Messe
gefreut. Jede Sekunde wollte ich aufsaugen, für immer in mir
behalten. In Erinnerung behalten werde ich auch den ersten Schultag
meiner Tochter. Es war heiß und schwül an jenem Augusttag.
Und wie schon am ersten Kindergartentag, so forschte ich auch an diesem
ersten
Schultag im Gesicht meiner Tochter welche Empfindungen sie hat.
Aufmunternd nickte ich ihr zu. Große Worte brauchte ich nicht zu
machen. Ein Blick sagte alles:
"Du schaffst das schon! Viel Glück, meine kleine, mutige Julia."
Ängstlich aber doch tapfer hielt sie meinem Blick stand. War sie
wirklich so stark oder wollte sie uns Eltern nur beruhigen? Aber gerade
das wär ein besonderer Ausdruck von Tapferkeit. Natürlich gab
es auch die unruhigen Stunden in unserem gemeinsamen Leben. Gerade in
den ersten beiden Schuljahren schüttelten heftige Turbulenzen die
Familienidylle kräftig durch. Doch auch diesen Sturm haben wir
nicht nur glimpflich überstanden ,sondern vieles daraus gelernt
das
unsere kleine Familie stärkt.
Als unser Seelsorger Anfang des Jahres dann die Eltern zu einem ersten
Kommunion-Vorgespräch einlud, war dieser heutige Tag noch so weit
entfernt. Monate noch, eine Ewigkeit. Aber was ist schon eine Ewigkeit
im Leben eines Menschens? Ein Augenblick, ein Wimperschlag der Zeit.
Ehe wir uns versahen, sprang unsere Tochter leichtfüßig und
mit gleichen Eifer zum Kommunionsunterricht, wie sie dann endlich in
der dritten Schulklasse den Unterricht besuchte. Endlich hatte sie die
Freude am Lernen gefunden, endlich begann sie die Schulzeit aus vollen
Zügen auszukosten.
Ich bin gedanklich wieder in der Gegenwart! In der Kirche. Die Messe
geht dem Ende entgegen und ich werde durch flüstern der
neben uns Sitzenden daran erinnert, dass nun der Augenblick da ist, der
für die Kommunionskinder eine Überrschung sein wird!
Wir Eltern haben etwas vorbereitet, zu Ehren der Jungen und
Mädchen. Ein Lied haben wir einstudiert, unbemerkt von unseren
Kindern. Und dieses Lied werden wir nun zum Besten geben. Es ist ein
Segenslied für die Jubilare und eine Bitte an unseren Herrgott.
Als
wir Väter und Mütter stühlerückend uns nun erheben
und uns zum Altar begeben, beobachte ich aus den Augenwinkeln heraus
auch die Reaktion der Kinder. Natürlich registrieren sie, dass nun
etwas geschehen wird, das für sie unvorbereitet ist. Aber
sie sind zu angespannt, so mein Eindruck, um zu realisieren, dass es
etwas ganz besonderes ist. Endlich haben wir unsere Plätze um den
Alter gefunden, werden aufmerksam und blicken voller Hoffnung zum
Taktgeber. Der Dirigent zwinkert und ein letztes Mal zu, dann gibt er
das Zeichen und wir Männer beginnen etwas verloren unseren
belegten Kehlen die ersten Töne zu entlocken. Wenige Takte
nur, dann wird unser Gesang selbstbewußter, fester. Wie gut
das wir gemeinsam singen. Und endlich helfen uns die hellen Stimmen der
Mütter über die ungewohnte Situation hinweg. Jetzt, wo der
Refrain gemeinsam und gleichberechtigt wiedergegeben wird haben
auch wir Hobby- Tenöre, - Bässe und - Baritone unsere
Sicherheit gefunden:
" Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand ..."
So lautet der Refrain. Eine wundervolle Textzeile.
Ganz bewusst schaue ich dabei meine Tochter an, denke an sie.
Ja, meine tapfere Julia, möge Gott dich immer beschützen.
Hab` Mut und Vertrauen, zu Gott und zu deinen Eltern.
Später, als wir wieder Platz genommen haben, sind meine Gedanken
endlich beim Hausherren, dem lieben Gott. Er ist mir doch ein wenig zu
kurz gekommen, nicht nur die beiden letzten Stunden. Ich bitte ihn
unsere Familie zu beschützen und diesem strahlenden Mädchen
dort in der ersten Reihe den Optimismus zu geben ihr Leben in gute
Bahnen zu lenken.
" Halte sie fest an deiner Hand, darum bitte ich dich!"
Als der Gottesdienst zu Ende ist, sind die Kinder nicht mehr zu halten.
Die Anspannung ist einer ausgelassenen Stimmung gewichen. Vor dem
Portal der Kirche suchen wir unsere Tochter, die eben noch freudig in
die Menge winkend, gemeinsam mit ihrem Pastor, für den sie
durch dick und dünn die letzten Wochen gegangen sind, den
Festgottesdienst ausklingen ließen. Als wir ihr endlich
gegenüberstehen, sprudelt es aus ihr heraus. Sie teilt uns
aufgeregt und strahlend mit, dass sie mit ihrer Freundin den Weg zum
Lokal, in dem wir diesen Tag mit unseren Gästen gemeinsam feiern
werden, schon mal vorausgehen will. Ach was gehen: Sie nimmt ihre
Freundin bei der Hand und rennt den Kirchweg hinunter. Sie ruft uns
noch etwas zu, es klingt so ähnlich wie: Wir sehen uns ja dann ...
Ja liebe Julia, möge Gott dich fest an seine Hand nehmen bis wir
uns wiedersehen. Und darüber heinaus. Ein ganzes Leben.
Gerd Mersdorf