Das Dramms



Die Burg war auf hartem Fels erbaut. Der Aufstieg zu ihr war nicht nur beschwerlich sondern auch sehr, sehr gefährlich. Thorben saß auf dem Dach des Aussichtsturms und besah sich die Tiefe. Es ging steil hinab und in den Schatten der Abenddämmerung sah es aus, als führe die Tiefe in die Unendlichkeit. Einem Kind wie ihm machte dies aber keine Angst. Der Knabe hatte keine Angst vorm Tod, er hatte Angst vorm Leben. Einem Leben in der Nähe der Dramms. Die Dramms mußten schattenähnliche Wesen sein, niemand hatte bisher einen  gesehen, aber nur Schatten konnten so lautlos sein. Es hieß sie schlichen in der Nacht zu den Neugeborenen und nähmen ihnen die Luft zum Atmen. Seine Mutter war von ihnen in die Tiefe gestürzt worden. Er konnte noch heute ihre Schreie in der Unendlichkeit des Abgrundes hören. Thorben wollte einen fangen und ihn an die Turmspitze nageln, als Zeichen das kein Dramms mehr den Boden der Burg betreten dürfe. Das war sein Plan. Er konnte das machen, er war der Prinz der Burg, ein Nachfahre der Turanen, jenem Geschlecht dem die ganzen Ländereien soweit das Auge reichte gehörten. Sein Vater, der König, lag mal wieder einmal betrunken mit einer seiner Konkubinen im Bett. Hier auf dem Dach der Turmspitze schwor sich der Knabe, dass er Land und Leute verteidigen würde. Er- Prinz Thorben.
Da vernahm er ein Geräusch. Etwas sezte sich neben ihn. Es war so schön, dass er meinte zu träumen. Etwas so Wunderbares gehörte nicht auf die Burg, nicht in ein Land des Kummers, dass von Dramms beherrscht wurde. Es schillerte perlmuttfarben und in der farblosen  Dunkelheit hatte es sein eigenes Licht. Es schien ein Mensch zu sein, nur viel kleiner und zierlicher und es besaß Flügel wie aus Glas. Es hatte lange Haare und die schönsten Sonnenaugen die er jemals gesehen hatte.
" Was bist Du?", fragte er es.
" Ich bin eine Dramms Thorben, Prinz der Turanen." ,antwortete das engelsgleiche Wesen.
" Heiliges Kanonenrohr!", entfuhr es dem Prinzen und alle seine Pläne vergessend flüsterte er: " Was willst Du?"
Kokett sah das Wesen ihn an, fast schien es als flirte es mit ihm: " Ich habe etwas für Brittla."
Er schrie entsetzt auf: " Bitte nicht für Brittla. Sie ist mir die Mutter die ihr mir genommen habt. Alles Gold der Welt, mein Herz und mein Leben für meine Ziehmutter. Es heißt die Dramms seien bestechlich. Ich biete dir alles was ich besitze für meine Brittla."
" Es ist beschlossen Thorben Prinz der Turanen. Es ist beschlossen. Nur eine kleine Erkältung."
" Brittla wird nicht sterben?, fragte Thorben verblüfft.
" Sie wird. Ich bringe ihr die Erkältung, den Rest davon brachte deine Ziehmutter selbst dazu. Das Kraut das ihr anbaut und es euch zum Gefallen  inhaliert, zerstört den Körper. Es wird sie töten- nicht die Erkältung", antwortete das Dramms.
" Ich werde dich töten du seltsames Wesen. Dein Leben  für das von Brittla!"
" Wenn es dir gelingt, so töte mich. Doch willst du den töten der deine Ziehmutter töten wird, so sehe ein, es ist Brittla die sich selber tötet. Sie hatte zwei Wege. Zwei Dramms!", seuftze das geflügelte Wesen. Sinnend balancierte es auf der Turmspitze. Dann fuhr es weiter fort. " Sie wählte das Kraut zur Entspannung. Es wurde ihr Trost? Das Wegerlein entspannt den Menschen, das Mondenwurz macht müde und schöne Träume. Diese Mittel hätten ihr geholfen. Doch das Kraut tötet und sie wusste es. Ich bin ihr weiterer Weg. Wie kannst du es wagen sich ihrem Willen in den Weg zu stellen. Wo bleibt dein Respekt Prinz der Turanen?"
Thorben weinte. " Bitte nehmt mir sie mir nicht. Ihr habt mir schon die Mutter genommen. Noch immer höre ich ihre Schreie im Abgrund. Was hatte sie getan, das ihr sie mir nahmt?"
Erstaunt sah das Dramms ihn an. " Das glaubst du? Dein Vater stieß deine Mutter im Rausch hinab. Sie war so schön und rein. Anders als dein Vater. Sie liebte ihn und glaubte ihn zu ändern. Doch kein Mensch kann einen anderen ändern. Nur man selber vermag sich zu ändern. Menschen sind so egoistisch. Zuerst vergötterte er sie. Doch dann kamen seine Schwächen wieder. Es ärgerte den König das sie so rein war, voller Liebe. Er selbst wollte tadellos sein. Aber neben ihr wurde er nicht gesehen. Wer sieht den Mond wenn die Sonne erstrahlt! Sie ahnte es und irgendwann wußte sie es. Sie konnte mit den Dramms sprechen wie du.  Sie blieb und wählte den Tod durch ihn. Dein Vater betrank sich obwohl er weiß was der Met bei ihm anrichtet. Dann stieß er sie hinunter, doch erst schlug er sie, wie er dich heute noch schlägt und Brittla wenn sie sich schützend vor dich stellt. Es heißt bei den Turanen seien die Frauen geachtet. Warum wählte deine Mutter den Mann, deinen Vater, und nicht dich, ihren Sohn?  Du hättest ihres Schutzes bedurft, nicht er. Vielleicht war sie an ihrem Tod selber Schuld. Es ist egal. Als sie starb weinten wir Dramms viele Wochen. Doch wer wären wir wenn wir eure Entscheidungen nicht akzeptieren könnten?"
Thorben weinte. Sein Vater- ein Mörder? Doch etwas in ihm erkannte das dieses Wesen Recht hatte. Doch halt! Eine Frage hatte er noch. Es hatte einen Erstgeborenen vor ihm gegeben. Er war den Kindstod gestorben. Immer hatte er geglaubt der Vater liebte ihn nicht weil er nicht wie sein Bruder gewesen war, so stark, so schön. Er wusste nicht mehr das er genauso schön und stark bei seiner Geburt  gewesen war. Die Misshandlungen durch seinen Vater hatten ihn zu jenem missgestalteten Knaben werden lassen, der er war. Traurin war der Name seines Bruders gewesen. Was würde das Wesen zu jenem Bruder sagen. Also fragte er: " Warum habt ihr Traurin genommen?"
Verträumt sah das Dramms in die Nacht: " Traurin- ja, das waren wir. Seine Zeit war um. Thorben wir nahmen deinem Bruder den Atem. Manchmal sind wir so ungerecht. Er hatte keine Schuld. Kein Mensch war schuld. Niemand- außer uns war schuld. Wir taten es nicht gerne. Er lebt nun wiedergeboren in den Steppen. Er raucht das Kraut und trinkt den Met. Er ist wunderbar wild und unbeherrscht, doch tief in seinem Inneren ist ein Teil deiner Mutter. Er braucht einen Seelenverwandten der ihn leitet. Doch nun endet unsere Begegnung Thorben, Prinz der Turanen. Brittla liegt im Sterben. Sie braucht dich. Nun weißt du was wir wissen. Bringe ihr die Ruhe und ihr Kraut."
Das seltsame Wesen wischte ihm die Tränen vom Angesicht. Es nahm des Knaben Kopf zart in seine kleinen Drammshände und küsste ihn auf die Stirn. Dann flog es davon. Wie konnte etwas so Wunderbares so traurige Kunde bringen.
Der Junge wußte nicht ob er seinen Vater hassen oder lieben sollte. Sollte er sich vom Dach stürzen oder seinen Vater ermorden? Ein Leben für ein anderes. Er hörte wieder die Schreie seine Mutter.
Dann kletterte er vom Dach, Brittla brauchte ihn.
Als der Morgen dämmerte war Brittla in seinen Armen gestorben. Brittla, seine über alles geliebte Ziehmutter. Er packte seine Sachen. Er wußte das sein Vater ihn eines Tages umbringen würde. Keine starke Brittla würde mehr vor ihm stehen. und ihn schützen. Als er die Burg verließ schlief sein Vater noch in den Armen einer Konkubine. Niemand stellte sich ihm in den Weg.

Was er nicht sah und nicht wusste war, dass er beobachtet wurde. Zwei Dramms und seine Brittla saßen auf dem Aussichtsturm. Brittla sah ihr Dramms an.
" So war mein Tod nicht umsonst!" , flüsterte sie.
" Ja," antwortete ihr Dramms: " Er wird leben. Thorben wird wiederkehren und ein guter König werden. Dein Tod war sein Leben. Heute wäre er gestorben."
" Ich liebte ihn wie meinen Sohn!", seufzte die Verstorbene.
" Er war dein Sohn, Brittla! Er war mehr dein Sohn als der Sohn seiner Mutter. Sie starb für sich. Du für ihn. Aber du wirst ihn wiedersehen. Es wird nicht lange dauern. Er wird gut zu dir sein.", orakelten die engelsgleichen Wesen.
" Werde ich mich an unsere Zeit erinnern können?" , fragte die Ziehmutter.
" Nein, du über alles geliebte Brittla. Es gibt immer einen Morgen an dem die Alpträume der Nacht in  Vergessenheit geraten." antwortete ihr Dramms.

Plötzlich lachten die Dramms und Brittla fröhlich auf. Es schien als höre man im Abgrund das Zwitschern der Vögel. Selbst die Schreie der Mutter verstummten.



Astrid Eifel-Gerber

zurück zum Inhaltsverzeichnis