Exkursion ins Land der Lederhosen

- Bericht über eine Bergwanderung -



Vielleicht sollte ich vorrausschicken , dass unsere alpinen Erfahrungen sich auf den Verzehr von Salzgebäck während des Betrachtens alter Bergfilme beschränkt hatten, bevor wir diese Erfahrung des Lebens machten, von der ich berichten werde.

Wir, das sind meine damals 8jährige Tochter, meine bessere Hälfte und meine Wenigkeit. Wir hatten zwar kein Salzgebäck dabei, aber immerhin 2 Flaschen lauwarmes Mineralwasser, als wir den Ruhpoldinger Hausberg - den Rauschberg - bestiegen. Das heißt eigentlich bestiegen wir die Gondel, die uns zum Gipfel bringen würde, aber immerhin: Gipfelstürmer bleibt Gipfelstürmer.
Wir Flachlandtiroler waren zu der Erkenntnis gelangt das Pferd von hinten aufzuzäumen, also, um weniger in Rätseln zu sprechen: Wir hatten beschlossen vom Gipfel ab ins Tal zu wandern, schließlich braucht man beim Radfahren abwärts nicht zu treten, so unsere bisherige und zutreffende Lebenserfahrung. Leider ist Bergwandern mit Radfahren nur bedingt zu vergleichen, aber zu dieser Erkenntnis sollten wir erst in den  nächsten folgenden Stunden gelangen ...

Oben angekommen meldete sich erst einmal ein gesunder Appetit, und was verdaut ist braucht man nicht zu schleppen, so unser logischer Gedankengang. Nicht zu schleppen brauchten wir auch auch ein Viertel unseres Wasservorrats, denn als wir die erste Falsche öffneten, ergoss sich ein Teil des nassen Inhalts übersprudelnd auf mein Beinkleid. Frisch gestärkt und mit feuchter Hose machten wir uns dann endlich gutgelaunt auf den Weg.
" Geht nicht den Geröllweg!" hatte man uns unten in der Zivilisation instruiert, also schlugen wir gehorsam den Bergpfad ein, der sich einladend vor uns auftat. Wir kamen sehr gut voran und ich ertappte mich schon dabei, dass ich ein wenig enttäuscht über den unproblematischen Weg war. Doch dann, urplötzlich, tat sich ein unüberwindbares Hindernis auf:  Eine eingezäunte Wiese. Und auf der anderen Seite des Zaunes glotzten uns einige Stiere übelgelaunt an. Das alles wäre nicht erwähnenswert, wenn ich nicht berichten müsste, dass unser idyllischer Bergpfad just durch diese eingezäunte Stierkampfarena geführt hätte! Was tun?
Nur kurz  schauten meine Frau und ich uns an, und da wir uns schon immer gut und notfalls auch mit Blickkontakt verstanden haben, teilten  wir unserer Tochter fast synchron mit, dass wir uns - so ganz nebenbei - für eine andere Route  entschieden hätten. Noch während sie uns fragend anblickte, drehten wir uns auf dem Absatz um und kehrten zum Ausgangspunkt  unserer Wanderschaft  zurück.  Und dann schwenkten wir auf den Geröllweg ein und wunderten uns, warum uns die Einheimischen vor diesem Weg gewarnt hatten. Er war  doch viel breiter, und die Aussicht war auch viel besser! Schnell noch was trinken, dann einen Abfalleimer für die erste geleerte Wasserflasche gesucht, und ab ging die Post. Das Wandern ist des Müllers Lust!

Die Lust verging uns aber ziemlich schnell, denn natürlich war die Warnung vor dem Geröllweg nicht ohne Grund erfolgt. Je steiler der Abstieg wurde, desto mehr rutschten wir, hatten teilweise Mühe uns aufrecht zu halten. Das gelang uns nicht immer, einige Male machten unsere Hosenböden Bekanntschft mit  der Bodenbeschaffenheiten  des Berges, doch Gottlob blieben die Schäden überschaubar. Unsere gute Laune war irgendwie verflogen. Spätestens als unser Wasservorrat zu einhundert Prozent aufgebraucht war, kam man ins Grübeln, ob es tatsächlich sinnvoll gewesen war in - zugegebenermaßen festen - aber immerhin Halbschuhen aufzubrechen. Der Schweiß rann in Strömen, doch selbstlos vergaßen wir Eltern unsere Nöte und beobachteten wie sich unsere Tochter verhielt. Sie wirkte überraschenderweise eigentlich    wie    immer,   wenn   wir    unseren Sonntagsspaziergang unternehmen, ihr war nicht bewusst in welcher Gefahr wir uns befanden. Ich sah uns drei in meiner pessimistichsten Fantasie schon verhungert, verdurstet oder sogar beides, ausgemergelt an der eingebildeten  Felswand kleben, bemühte mich meine düsteren Vorahnungen aber nicht zu zeigen, sondern als Familienvorstand meine Familie sicher ins Tal zu führen.

Stunde und Stunde kämpften wir uns Meter für Meter nach unten. Es war die reinste Hölle! Und immer wenn wir glaubten die Ideallinie auf diesem höllischen Untergrund gefunden zu haben, mussten wir ausweichen, weil wieder einmal ein Mountainbiker fröhlich pfeifend unseren Weg kreuzte und mit einem launigen " Grüß Gott!" uns einen gelungen Abstieg wünschte. Wohlgemerkt: Die Radler kamen uns entgegen! Sie waren auf dem Weg dorthin wo wir herkamen: Zum Gipfel!

Endlich, nach vielen qualvollen Stunden waren wir unten angelangt. Wir wankten, ausgepowert und todmüde, zu unserem Hotel, ließen uns, halbverdurstet, auf Sitzgelegenheiten des Biergartens nieder und flehten um ein ganz ganz großes Kaltgetränk um der Austrockunung zu entgehen. Wie versteinert blieben wir für eine Ewigkeit auf unseren Stühlen angenagelt, wir, damit meine ich meine Frau und mich. Und unsere Tochter? Ja, unsere Tochter  war längst wieder unterwegs, fröhlich singend und hüpfend! Sie hatte mit dem nicht der Rede wert seienden Abstieg des kleinen Hügels keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Natürlich nur dank unserer umsichtigen und generalstabsmäßigen Planung und Durchführung des Marsches. Wozu sind Eltern schließlich da!

Doch das Beste kommt noch: Am Abend als sich alle Hausgäste zum Abendbrot trafen, waren wir die Sensation des Abends! Es war aber weniger überraschend für unsere Mitbewohner dass wir diese Tour überlebt, sondern vielmehr dass wir 4 Stunden für den Abstieg gebraucht hatten!
"Normalerweise," so eine erfahrene Bergsteigerin, " schafft man das locker in 2 Stunden- es sei denn man benutzt den unangenehmen Geröllweg ...  Aber so blöd ist doch keiner .... "
bemerkte sie augenzwinkernd. Und dann reichte sie eine  Wanderkarte und bat uns lächelnd ihr den Weg zu zeigen, den wir benutzt hätten.

Gerd Mersdorf



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