13.
Das Haus
Was
immer mich bewog, durch jene Pforte
zu gehen, ich weiß es nicht mehr. Die Türe stand offen, als
habe das verbotene Haus auf mich gewartet, als habe es sich
geöffnet für einen Besucher- für mich. Magisch angezogen
durch die Schwärze des Hausflures trat ich ein, nicht wissend, was
meiner harrte. War es Neugierde? Heute scheint es mir, als habe jenes
Haus mich gerufen, aufgefordert einzutreten, um zu wissen, ob ich
bereit
sei zu jener Prüfung. War es Schicksal? Ich betrat den Hausflur
und knarrend schlug die Eingangstüre zu. Da stand ich in kalter
Nacht und mehr tastend als sehend, versuchte ich einen Weg durch die
Dunkelheit zu finden. Da die Eingangspforte auf meiner Seite
keinen Griff aufzuweisen hatte, war der einzige Weg das Haus
zuverlassen, der Weg durch das Haus selbst. So tastete ich mich
weiter, entlang an einer Wand, die sich im Eindruck der Dunkelheit noch
heute in meiner Erinnerung meilenweit hinzog. Eine Unebenheit, mich
durchzuckte die Angst vor dem Kommenden. Da erstrahlte ein Lüster
aus gleißendem Bergkristall den Flur. Ich stand vor einer
Türe, deren Rahmen ich ertastet hatte. An diesem Rahmen standen in
goldener Platte folgende Worte eingraviert: Trete ein in das Land des
Erfolges! Erfolg ist gut, dachte ich, öffnete die Türe und
betrat den Raum. Groß war er und fast leer. Sein einziger Schmuck
war ein Bild an der Wand. Eingefasst in Ebenholz, ein prächtiges
Gemälde, welches einen wunderbaren Palast zeigte. Kleine
Steinlöwen waren die Wächter des Gartens. Ein
Säulengang und erstaunt hielt ich inne. Da war ein Riss in der
Wand des Palastes. Klein war er, doch da. Neugierig ging ich näher
und durch die Öffnung gewahrte ich einen alten Mann hinter einem
Schreibtisch sitzend. Noch heute erinnere ich mich seiner Worte" Trete
ein!" , und ich trat ein. Das Bild erfüllte den Raum. Ich stand in
jenem Zimmer des alten Mannes, sah die Gemälde an der Wand,
Jagdszenen, sah die teuren Holzmöbel, das gleißende Gold
der Prachtbände. Eine Spieluhr stand auf einer kleinen Kommode,
eine kleine Ballerina zeigend, welche in zierlicher Bewegung zu einer
Melodie tanzte. In jene Musik mischte sich das Klirren von Münzen
und durch jene wieder auf den Alten aufmerksam geworden, fragte ich,
womit er denn all diese Pracht erworben habe. Ein leises, heiseres
Lachen erklang und endete in den Worten:" Bleibe bei mir! Wer einmal
Reichtum erwarb, wird üblicherweise nie mehr nach dessen Ursprung
gefragt. Der Wert des Geldes beantwortet den Menschen genug." Da wand
ich mich um, verließ den Raum , durchdrang den Riss in der Wand,
stand wieder im fast leeren Raum. Noch einmal wollte ich das Bild
sehen, mich vergewissern, dass ich nicht geträumt hatte. Da
sah mein Auge etwas, was ihm voher verborgen geblieben war. Eine
schwarz
angezogene Frau stand vor dem Palast. Ein Schleier bedeckte ihr
Gesicht. Perlen flossen Tränenströmen gleich über ihr
Gewand. In ihr Kleid eingewebt waren zerlumpte Gestalten in
trostloser Haltung, von Gram und Kummer gebeugt. Entsetzt wandte ich
mich ab von dem Bild, jenem gerade Erlebten, durchrannte den
Raum, verließ ihn, hetzte durch den Flur. Mich einsam und gejagt
fühlend und nur Einhalt gebot mir eine neue Prüfung- eine
neue Türe. Auf dieser standen eingraviert folgende Worte: Trete
ein in das Land der Träume! Ich trat ein. Wieder war der
Raum bis auf ein Gemälde an der Wand leer. Ich ging meinen
Weg, duldsam wie ein Lamm . Doch eins
fühlte ich: War das Haus mein Schicksal, so lag die
Entscheidung in meinem Ermessen. So besah ich mir ein weiteres Bild. Es
zeigte einen großen Garten. Mittelpunkt der Anlage war ein
Gartenhäuschen, gebaut in einem anmutig erscheinenden Stil. Zart
und zerbrechlich lag es da, voller Ruhe und Harmonie. Ich hörte
das Rauschen der Bäume, das Säuseln des Windes. Eine kleine
Gardine bewegte sich im Wind und durch das geöffnete Fenster sah
ich eine Schlafende, in zarte Gewänder gekleidet, ausgestreckt auf
seidenen Kissen. Der kühle Nachtwind umspielte den Saum ihres
Gewandes, der Raum dehnte sich aus, erfüllte das ganze Zimmer.
Wieder war ich Teil eines Bildes geworden. " Träume mit mir!",
sprach die Schlafende. Fast unmerklich bewegten sich ihre Lippen, mehr
gehaucht als gesprochen vernahm ich ihre Worte. Ich hörte
den wunderschönen Klang ihrer Stimme, das Zirpen der Grillen im
Garten, sah ihr glückliches Gesicht. " Wie lange dauert denn so
ein Traum?", fragte ich. " Manchmal ein ganzes Leben lang", raunte
sie. Da wand ich mich um, stieg aus dem Fenster, befand mich wieder im
leeren Raum. Fast ängstlich trat ich erneut an das Bild heran.
Was,
wenn ich ihren Traum geträumt hätte? Auf seidenen Kissen
neben der Frau lag ein schöner blondgelockter Jüngling und
mit einem seiner langen Fingernägel schnitt er der Schlafenden in
das Fleisch ihres Armes. Dunkelrotes Blut floss in einem kleinen
beständigen Rinnsal über das Gewand, über seidene
Kissen. Glücklich lag die Schlafende, nichts von all dem wissend,
träumend, sich ihrer liebenden Welt erfreuend. Entsetzt wandte ich
mich um, verlassen musste ich die Unglückselige, die mich ins
Unglück mitreißen wollte. Ich stolperte aus dem Zimmer,
war ängstlich und müde. Wie lange sollte mein Weg noch sein?
Was war das Nächste? Wie lange war ich schon in diesem Haus, in
dem Zeit keine Rolle zu spielen schien? Noch ganz in Gedanken versunken
stand ich vor eine neuen Türe. Auf goldener Platte stand
geschrieben: Trete ein in das Paradies! Ort des ewigen Lebens und der
Verheißung, denkend trat ich ein. Wieder betrat ich einen Raum,
durchschritt ihn, hin zu einem neuen Gemälde. Männer und
Frauen tanzten auf dem Bilde. Herrliche Seen mit Fischen spendeten
kühles Nass, klare Bäche erfüllten mit ihrem Rauschen
den Raum. Zärtlich spielte ein wildes Tier mit einem
Kind. Umhütete es liebevoll, einer Mutter gleich. Ein Regenbogen
zeigte sich in dem Blau des Himmels, welches fast unmerklich
unterbrochen war, von dem zarten Weiß der Wolken. Herrliche,
fremdartige Pflanzen bewuchsen jenes Paradies. Obst wuchs an den
Bäumen, obwohl diese noch in Blüte standen. Welche Freude,
welches Ergötzen sich in diesem Bilde zeigte. " Trete ein in
das Paradies!", sprach eine der Spielenden. " Ja", sagte ich, " aber
wie? Es ist nicht wie bei den anderen Bildern." So sehr ich mich
bemühte, ich konnte das Bild nicht betreten. " Du musst vorher
deine Seele weggeben. An das Bild. An uns!" Ich wandte mich um, ging
hinaus aus dem Zimmer. Nie mehr betrachten wollte ich das Bildnis. Was
immer meinem Auge verschlossen geblieben war, wollte ich nicht
ergründen. Ich hätte es nicht ertragen können. Zu sehr
hätte es mich geschmerzt. Weiter folgte ich dem Flur bis zu eine
Pforte, auf der stand: Trete ein in das Land des Schmerzes und der
Pein!
Fast ängstlich öffnete ich die Türe, rannte
über die Schwelle, rannte eine Straße entlang und mich
langsam besinnend erkannte ich, dass ich jenem Haus entkommen war. Noch
lange danach haderte ich meiner, warf mir vor, das verbotene Haus
betreten zu haben. In warmen Sommernächten, wie diese eine ist,
denke ich, es war eine Prüfung. Verbotene Häuser gibt es in
jeder Stadt, in jedem Dorf. Manchmal träume ich
noch von dem Paradies, aber
was ist ein Paradies ohne Seele?
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