1. Die Erinnerung
Die Schneeflocken tanzten vor meinem Fenster. Spielend versuchten sie
ihren Fall aufzuhalten, als hätten sie die Schwerkraft der Erde
mit
ihren zarten Eiskristallen aufgehoben, als würden sie in ihrer
Schönheit, trotz ihrer Zerbrechlichkeit, kein Ende kennen. Die
Kälte des Tages hatte Eisblumen an meinem Fenster zum
Erblühen gebracht. Gebilde, die mich beschäftigten,
fesselten. Und während ich näher ging, mich erstaunt
fragte,
rätselte, schienen jene zu zerschmelzen, sich neu zu formieren,
und ich erkannte in ihnen ein hässliches Antlitz mit langen,
wirren, verfilzten Harren und Falten, die ein Gesicht durchzogen, wie
Flüsse eine Landschaft prägen.
Jenes Frauengesicht, das ich erkannte, durchzog meine Jugend mit einem
schier nicht enden wollenden Faden von Erzählungen. ließ
mein Kinderherz erbeben durch Heldentum, Sieg, Niederlagen, und
ließ mich erkennen, dass Verfehlungen gegenüber anderen
niemals ein gutes Ende nehmen können. Das Antlitz der Frau, ihr
Mund, ihre Augen waren des Fernrohr zu jenen Geschichten, zu meinen
Helden. So wie damals erstanden ihre Worte von neuem, jene
Mythen, schon
lange mir entfallene Geschichten. Die Erinnerung war zurückgekehrt
und hatte das Labyrinth der Zeit überwunden.
Neu erstand ihre Kate vor meinem inneren Auge, auf einem Berggipfel
gelegen. Von weitem sah es aus als wolle das durch Alter gebogene Dach
eine Brücke zum Himmel schlagen. Das Sternenmeer loderte über
dem Haus, tauchte es in warmes Licht, funkelte. Die Fenster des Hauses
waren alle erleuchtet um, wie sie es selbst sagte, dem Suchenden den
Weg
zu weisen.
Doch hatte man jenes Gebäude erreicht , schwanden Mond und
Himmelslichter in unerreichbare Ferne. Wann immer ich sie darauf
ansprach, lachte sie auf ihre so eigene Art und Weise. Eines Abends
erzählte sie mir die Geschichte eines Anhängers, ein Geschenk
ihrer Eltern. Der Anhänger selbst habe sie ihr erzählt.
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